Abstracts

Geordnet in alphabetischer Reihenfolge der Vortragenden.

 

 

Birgitta Bader-Zaar

Transnationalität und 'race' in der internationalen Frauenbewegung: afroamerikanische Aktivistinnen auf Reisen in Europa im 19. und frühen 20. Jahrhundert

„In fact I was the only delegate who gave any color to the occasion at all.”[1] Mit diesen Worten ironisierte die afroamerikanische Frauenwahlrechtsaktivistin Mary Church Terrell (1863-1954) ihre Anwesenheit als einzige Vertreterin der nicht-‚weißen‘ Welt auf der internationalen Frauenkonferenz in Zürich 1919. Internationale Frauenorganisationen waren bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vor allem von ‚weißen‘ Westeuropäerinnen und Nordamerikanerinnen dominiert. Aktivistinnen, die als ‚people of colour‘ in anderen Kontinenten, meist unter kolonialer Herrschaft, und in der segregierten Gesellschaft der Vereinigten Staaten lebten, machten sich selten auf die Reise zu den internationalen Kongressen in Europa. Ihre Anwesenheit unterstrich jedoch das Paradoxon zwischen der auf dem Motto der ‚international sisterhood‘ basierenden Transnationalität der Frauenorganisationen und des latenten oder auch offenen Rassismus vieler Aktivist*innen der Frauenbewegungen. Dieser Beitrag geht diesem Paradoxon anhand von Selbstzeugnissen und Biographien afroamerikanischer Feministinnen nach und versucht ihre Reisen auch im breiteren Kontext des Reisens von Afroamerikaner*innen nach Europa seit der Zeit der Antisklavereibewegung zu verorten. 


[1] 1919, Report on Zurich Conference, S. 1, in: Mary Church Terrell Papers: Speeches and Writings, 1866-1953, Library of Congress, Washington, DC.


Vida Bakondy

Spuren transnationaler Erfahrungen im Bild.
Am Beispiel der fotografischen Hinterlassenschaft von Jovan Ritopečki

Der jugoslawische Fotoreporter Jovan Ritopečki (1923-1989) schuf in den 1970er und 1980er Jahren ein umfassendes fotografisches Werk der Präsenz und Lebenswelten jugoslawischer Arbeiter*innen in Österreich. Eine Besonderheit seines fotografischen Nachlasses zeichnet die Multiperspektivität aus, die durch die soziale Positioniertheit des Fotografen und die transnationale Dimension der Bildproduktion bedingt ist. Ritopečki war professioneller Fotograf und Mitglied eines jugoslawischen Arbeitervereins, Jedinstvo, in Wien.Seine Aufnahmen entstanden teilweise als Auftragsarbeiten für unterschiedliche Medien in Österreich sowie Jugoslawien, deren Zielpublikum jugoslawische Migrant*innen waren. Anhand ausgewählter Quellen aus der Hinterlassenschaft beleuchtet der Beitrag die transnationale Dimension von Ritopečkis Bildproduktion: Wie werden Erfahrungen der Migration – des Ortswechsels, des Neuankommens und Sich-Einrichtens sowie transnationale Zugehörigkeiten und Verbindungen – visualisiert? Inwieweit zeichnet diese auch eine sozialkritische Reflexion der Lebensumstände jugoslawischer Migrant*innen in Österreich aus? 


Monika Bernold

Shapeshifters: Filmische Erzählstrategien zu transnationaler Identität, Auto/Biographie und Making Kin

Ich möchte in einer Film Lecture die auto/biographischen Erzählstrategien der in Stockholm lebenden Künstlerin_ und Filmemacherin Sophie Vuković in dem Film Shapeshifters (Schweden 2017) vorstellen. Es interessiert mich, die Potentiale und  Grenzen hybrid-dokumentarischer Erzählweisen für Fragestellungen queer-feministischer Geschichtswissenschaft auszuloten.

Ich werde zu ausgewählten Szenen skizzieren, wie Shapeshifters  „Auto/Biographische Geschichtsvermittlung“, „transnationale Identität und Zugehörigkeit“, „politischen Aktivismus“ sowie „Muttersprache-Vaterland“ in dem geopolitischen Kräftefeld ehemaliges Jugoslawien, China und Schweden verhandelt. Abschließend werde ich Shapeshifters fiktionalisierte Sequenzen mit Donna Haraways Konzept von ‚Making Kin’ in Verbindung bringen.


Julie Dawson

„Von meiner Geburt an haben stets unglückliche Umstände mein Leben beschattet“:
Reflections on Working with Sources of Intimacy and Isolation

This paper reflects on examining the life of a 20th century woman, Blanka Lebzelter, who left behind intimate diaries of over 800 entries, but whose name, thus far, has not been found in any official archival documents. An opposite exercise to that of historian Alain Corbin’s to describe the life of a randomly-chosen 19th century peasant who left behind no ego documents, my work attempts to understand the world surrounding a protagonist to whose private thoughts and worries we have exhaustive access, but about whose life previous to the diaries start and after their ending almost nothing is known.[1] What are the challenges to a historian in working with extensive, private ego documents that represent the sole surviving evidence of an individual’s life? How can the objectivity that official documents might lend be introduced to complement a rich, but isolated, subjective source? Indeed, how can the very existence of the diary author be proven to not be, as one colleague suggested, a figment of a mourning and traumatised mother’s imagination?


[1] Alain Corbin, The Life of an Unknown: The Rediscovered World of a Clog Maker in Nineteenth-Century France (New York: Columbia University Press, 2001).


Susanna Erlandsson

The cook, the ambassador, his wife & her sister
A transnational mid-twentieth century tale of women’s diplomatic aptitude

This paper highlights women’s skills and characteristics that were crucial to mid-twentieth century Western diplomatic relations. Most research on women and diplomacy in this period centres on women’s struggle for access to a position that required skills that were coded masculine. In contrast, this study centres on female diplomatic aptitude. It shows how women played central roles in creating and maintaining everyday diplomatic relations without being diplomats themselves in the official sense. Through a biographical study of the paid and unpaid work of three particular women at the Netherlands embassy in Washington, D.C. between 1947 and 1950, the paper points to the diversity of roles women could and did play in mid-twentieth century diplomacy. It argues that even if they owed their diplomatic position to their direct or indirect ties to the male ambassador, individual women’s diplomatic aptitude influenced not only their own margins for manoeuvre, but those of the country they represented. Moreover, it points to an everyday transnational latitude of women that male diplomats lacked. The stories of Guatemalan cook Rosa de Zepeda, Dutch-American Ambassador’s wife Margaret van Kleffens, and British citizen Dicky Wilson, show how women of different nationalities and positions could all represent the Netherlands.


Li Gerhalter

Freundinnenschaft als geschriebener Ort 2022

Im Jahr 2004 habe ich meine Diplomarbeit mit dem Titel „Freundinnenschaft als geschriebener Ort“ abgeschlossen. Die Arbeit wurde von Edith Saurer und Johanna Gehmacher betreut, ihr Gegenstand waren jene Briefe, die Mathilde Hanzel-Hübner nach Schulaustritt im Jahr 1903 bis 1912 regelmäßig von einer ehemaligen Schulfreundin erhalten hat. Mathilde Hanzel-Hübner (geb. 1884) ist jene Wienerin, deren frauen- und friedensbewegtes Engagement mitsamt einem ganzen Kosmos an neuen Kontexten Johanna Gehmacher und Monika Bernold durch ihre Forschungen wiederentdeckt haben. Ihr Nachlass trägt die Archivnummer 1 in der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte.

In dem Vortrag soll es nun neuerlich um Schulfreundinnen gehen. Diesmal wird der Blick erweitert auf die möglichen Formen materieller Spuren, die einige junge Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im papierenen Nachlass von Mathilde Hanzel-Hübner gezogen haben – oder auch in ganz anderen Archivbeständen. Es wird gefragt, welche Erinnerungsformate junge bildungsbürgerlich situierte Frauen um 1900 im Kontext von Schulen zur gegenseitigen Erinnerung ausgetauscht haben – und ob sich diese Formate von jenen unterschieden, die zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen getauscht worden sind. Es wird erhoben, anhand welcher Gegenstände innerschulische Hierarchien eher festgeschrieben wurden – und auf welche Weise diese möglicherweise auch (zumindest ein Stück weit) unterwandert werden konnten.


Ute Gerhard

Vom Fortschreiben und vom Neuschreiben der Geschichte der Frauenbewegung:
das Beispiel Käthe Schirmacher

Die Studien zu Käthe Schirmacher fungieren für mich als gelingender Historisierungsprozess für die biografische Fortschreibung und Neuschreibung der Geschichte der Frauenbewegung. Als Involvierte werde ich insbesondere den Blick auf die unterschiedlichen Perspektiven und eben auch Generationen der Historisierung feministischer Forschung lenken und den Zugewinn verfeinerter Methoden kennzeichnen/andeuten: es geht um verschiedene Stationen, Formen und Methoden der Historisierung der Frauenbewegungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts.


Francisca de Haan

(Transnational) Biographies and the Connections They Allow Us to See

Feminist historians have fundamentally altered the writing of biographies by inserting new subjects in this previously very-male dominated field and by showing the importance of connecting the so-called public and private spheres. Speaking for myself, the reading and writing of women’s (political) biographies continues to be inspiring and to help me/us see previously unknown connections through time and space. This includes links between historical subjects, between women’s networks before and after the Second World War, between different political groups, or across supposed breaks in national histories. In my talk I will illustrate these four cases with examples from the lives of the British Eleanor Marx (1855–1898), the Dutch Rosa Manus (1881–1942), and the Soviet-Russian Nina Popova (1908–1994).


Hanna Hacker

Wut und Lyrik: Schreiben als Schwarze Soziologin in den langen Sechzigern, Wien/Ibadan/Boston

Die Textproduktion der aus Nigeria stammenden, 1964 wegen panafrikanischer „kommunistischer“ Agitation aus Wien reichlich gewalttätig abgeschobenen, in Göttingen promovierten und ab 1971 an der Boston University tätigen Unokanma Okonjo umfasst wütende Pressestatements, sozialwissenschaftliche Arbeiten über Rassismus und Sexismus und ungehaltene Gedichte, von denen einige während akademischer Faculty Meetings entstanden. Eine kritische Reflexion ihres Schreibens – und zugleich eine Hommage an Johanna Gehmacher, die so Inspirierendes zu Auto/Biografie und schwierigen historischen Aktivistinnen verfasst hat.


Anna Hájková

Sprachen, Übersetzen und Missverstehen im KZ

Dass die Holocaustgesellschaft eine transnationale war, gilt inzwischen als etabliert. Je nach Lager wurde eine oder mehrere Sprachen eine lingua franca, die auch Machtsprache sein konnte, aber nicht sein musste. Ob Deutsch, Jiddich, Polnisch oder Ungarisch, das hing von Lager zu Lager ab, aber auch von dessen Chronologie. Während Forscher*innen wie Michaela Wolf oder Peter Davies mehr formale Übersetzungsmomente untersuchten, schaue ich mir in meinem Beitrag informelle alltägliche linguistische Begegnungen in Theresienstadt, Christianstadt und Neugraben an. Es geht um Geschlecht, Agency, Humor, Widerstand, Missverstehen und Gewalt.


Liz Harvey

Unzureichende Biographien: deutsche Arbeiterinnen als ‚Bummelantinnen‘ im 2. Weltkrieg

Deutsche Frauen erschienen während des zweiten Weltkrieges immer häufiger als ‚Arbeitsvertragsbrüchige‘ vor den Strafgerichten. Der sogenannte ‚Arbeitsvertragsbruch‘ – das Wegbleiben vom Arbeitsplatz oder die unerlaubte Aufgabe einer Arbeitsstelle – war schon vor dem zweiten Weltkrieg in Deutschland zu einem strafbaren Delikt deklariert worden. Nach Kriegsausbruch rückte unentschuldigtes Fehlen bei deutschen Arbeiterinnen mit neuer Dringlichkeit ins Blickfeld der nationalsozialistischen Arbeitsverwaltung und der Strafgerichte, und Gefängnisstrafen wurden routinemäßig verhängt. Der Fokus in diesem Vortrag ist ein Bestand von Gefangenenakten von weiblichen Gefangenen, die während des zweiten Weltkriegs wegen Arbeitsvertragsbruch in Haft kamen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man die Informationen, die in diesen Akten enthalten sind, als biographische Quellen nutzen kann: Solche Quellen sind unvollständig, fast nur aus der Sicht der Kontrollinstanzen, aber geben trotzdem einigen Aufschluß über Konflikte am Arbeitsplatz und die Lebensumstände der betroffenen Arbeiterinnen. Einige Akten beleuchten auch die weitergehenden Folgen der Inhaftierung: Für einen Teil der inhaftierten ‚Arbeitsbummelantinnen‘ bildete die Gefängnisstrafe einen Schritt in einem verhängnisvollen Prozess der Stigmatisierung und Verfolgung.


Kirsten Heinsohn

Kämpfen – Vergessen – Erinnern?

Seit einiger Zeit wird wissenschaftlich und gesellschaftlich nach den Erinnerungskulturen von sozialen Bewegungen gefragt. Ist die Geschichte der Bewegungen bei den Aktivist*innen präsent? Welche Rolle spielt die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und welche Formen der Erinnerung werden gepflegt? Diese Fragen möchte ich für die Frauenbewegungen in Deutschland an einem konkreten Erinnerungsmodus, dem Museum, diskutieren. Dabei steht die Frage im Vordergrund, an welche Kämpfe der Bewegungen erinnert wurde (und wird) und was dabei in Vergessenheit gerät.


Ela Hornung-Ichikawa

Von Mauern und Grenzen im psychischen Feld

In der Geschichte gab es immer Mauern und Grenzen, mal mehr, mal weniger. In den letzten Jahren ist der Wunsch und das Bestreben nach Sicherheit und Abschottung – reziprok zum Anstieg von Angst und gewaltvollen Konflikten – wieder enorm gewachsen. Auf gesellschaftlicher und psychoanalytischer Ebene lässt sich das Begehren nach Einheit im Sinne von Homogenität und Einsheit als problematischer Ausschluss des Anderen dechiffrieren. Psychoanalytisch arbeiten wir mit innerpsychischen Mauern im Sinne der Abwehr, psychisch brauchen wir Grenzen, sie begrenzen Ertragbares, lassen Differenzen aushalten und geben gewisse Stabilität. 


Dietlind Hüchtker/Claudia Kraft

Kein Kanon. Polyphone Gespräche über Anfänge und Emanzipation

Das Nachdenken über Anfänge ist für Historiker*innen schwierig, denn immer gibt es eine Vorgeschichte, die berücksichtigt werden will. Für soziale Bewegungen wie etwa die Frauenbewegungen sind Ursprungserzählungen legitimitätsstiftend und daher essentiell. Aber Anfänge sind problematisch, schreiben oftmals anachronistisch Eigenschaften und Entwicklungslinien fest und verstellen Handlungsräume, denen Historiker*innen eigentlich nachspüren und die soziale Bewegungaktivist*innen eigentlich ausnutzen sollten. Es gibt also einen doppelten Grund, über Anfänge nachzudenken und sowohl unser Geschichtsdenken als auch unser Vorstellungen über das Politische zu verflüssigen. Vielleicht, indem wir die Anfänge durch das Anfangen ersetzen?


Johann Kirchknopf

Biografisch forschen auf Grundlage von Gerichtsakten – Erforschen gleichgeschlechtlicher Lebensentwürfe und Liebesbeziehungen

Für die biografische Forschung eignen sich Gerichtskaten zu Strafverfahren nur bedingt, weil ein Strafverfahren, so einschneidend es für die betreffende Person auch sein mag, letztlich nur eine Episode eines Menschenlebens ausmacht. Aus methodischer Perspektive erfordern diese von Strafverfolgungsbehörden erstellten Quellen zudem eine besonders kritische Handhabung eben wegen ihres problematischen Entstehungszusammenhangs. Dennoch lassen insbesondere Gerichtskaten zu Strafverfahren wegen „gleichgeschlechtlicher Unzucht“ immer wieder bemerkenswerte Lebensentwürfe und Liebesbeziehungen erkennen, denen die Forschung mehr Beachtung schenken sollte als nur eine Fallstudie aus der Gerichtspraxis. In seinem Werkstattbericht präsentiert Johann Kirchknopf biografische Aspekte aus einem solchen Gerichtsakt. Sie ergeben immerhin markante Ausschnitte eines inkompletten Puzzles.


Birgit Lang

Translating Central European Woman: Cedar and Eden Paul’s practice and politics of translation

Cosmopolitan revolutionaries Cedar and Eden Paul (1880-1972/1865-1944) were amongst the most prolific and successful translators of German into English in the first half of the twentieth century. The translator couple rendered a vast array of authors and topics for the English market, from Stefan Zweig to Sigmund Freud, from socialism to sex research. This paper focuses on the ways in which women feature in their translation project as authors and/or subjects of study. The works considered include the psychoanalytic A young girl’s diary, Stefan Zweig’s novels Letter from an Unknown Woman and Marie Antoinette and the exploration of female sexuality by Bernhard Adam Bauer and Grete Meisel-Hess. It will touch upon the reception of these works and will give insight into their translator method.


Ruth Nattermann

Feminismus, Migration und Exil.
Transnationale Biographien in der frühen italienischen Frauenbewegung 

Die Biographien vieler Protagonistinnen der frühen italienischen Frauenbewegung sind durch eine charakteristische Transnationalität geprägt, die sich auch auf die Transfer- und Austauschprozesse zeitgenössischer feministischer Diskurse und Praktiken unmittelbar auswirkte. Insbesondere jüdische Feministinnen waren Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer weit über den italienischen Kontext hinausreichenden Familien- und Freundschaftsnetzwerke sowie der vielfältigen kulturellen Einflüsse des italienischen Judentums aus dem deutschsprachigen, französischen, spanischen und osteuropäischen Kontext bedeutende Vermittlerinnen transnationalen frauenbewegten Engagements. 

Mit dem Vormarsch des Faschismus und Mussolinis Machtübernahme 1922 wurden jedoch die Handlungsspielräume für antifaschistische Akteurinnen zunehmend enger. Im Zuge der Faschisierung der italienischen Frauenbewegung, die 1935 weitgehend abgeschlossen war, blieb sozialistischen und linksliberalen Feministinnen, darunter viele Jüdinnen, häufig nur der Weg in die innere Emigration; andere verließen Italien und gingen bereits vor der Verabschiedung der Rassengesetzgebung vom November 1938 ins Exil. 

Mein Beitrag richtet den Fokus auf die transnationale Biographie der jüdischen Schriftstellerin Amelia Rosselli, die 1937, nach der Ermordung ihrer Söhne Carlo und Nello durch faschistische Schergen, zunächst in der Schweiz, dann in England und schließlich in den USA Zuflucht suchte. Auf der Grundlage weitgehend unveröffentlichter Korrespondenzen und gedruckter Schriften der Antifaschistin, ihrer Familienmitglieder, Freunde und Freundinnen aus dem Zeitraum zwischen 1937 und 1946 untersuche ich die Exilerfahrung Amelia Rossellis innerhalb ihrer familiären wie intellektuellen Verbindungen und Netzwerke, zu denen auch die im Genfer Exil lebende jüdische Gelehrte Gina Lombroso und die in Florenz verbliebene jüdische Schriftstellerin Laura Orvieto gehörten. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Kontinuität antifaschistischen und feministischen Engagements in der Emigration. Ausgehend von Amelia Rossellis Biographie werde ich Diskurse und Praktiken transnationaler antifaschistischer Frauennetzwerke erläutern sowie Veränderungen in der Wahrnehmung der italienischen Heimat und im jüdisch-weiblichen Selbstverständnis der Protagonistin aus der räumlichen wie zeitlichen Distanz des Exils diskutieren. Das ausgeprägte italienisch-jüdische Selbstbewusstsein Amelia Rossellis motivierte maßgeblich ihre Rückkehr nach Florenz im Jahr 1946, dem zentralen Ort des antifaschistischen Engagements ihrer Söhne, das sie mit einem „anderen“, demokratischen Italien assoziierte, und wo die transnationale Biographie der Akteurin bis heute ihren bedeutendsten Referenzpunkt hat. 


Corinna Oesch

Gustav und Aurelie Steinacker, geb. Westher und der Allgemeine Deutsche Frauenverein

„Frauenbewegung, Trans/Nationalität und Auto/Biografie“ sind drei zentrale Perspektiven dieser Tagung, aber auch meines Vortrags zu Gustav und Aurelie Steinacker, geb. Westher, zwei meiner Vorfahren mütterlicherseits. Gustav Steinacker war Theologe und hatte 1837 die Leitung einer weiblichen Bildungs- und Erziehungsanstalt in Debreczin übernommen, seine Frau Aurelie Steinacker hatte bis zu ihrer Heirat als Erzieherin gearbeitet. Das Paar lebte hernach in Gölnitz, Triest und Weimar, beide waren zweisprachig ungarisch und deutsch, Gustav Steinacker publizierte sowohl auf Ungarisch als auch Deutsch und übersetzte ungarische Dichtungen ins Deutsche. Mein Interesse an ihm wurde spontan geweckt, als ich zu meiner Überraschung in der Forschungsliteratur zur Frauenbewegung auf ihn stieß und entdeckte, dass er für den Allgemeinen Deutschen Frauenverein aktiv war. Dass dieser Teil seiner vielfältigen Aktivitäten aus dem Familiengedächtnis verschwunden ist, könnte unter anderem auch mit dem deutschnationalen Engagement seines Sohnes bzw. der nationalsozialistischen Betätigung seines Enkels (meines Urgroßvaters) zusammenhängen.


Philipp Rohrbach

„Die Menschen sollen erfahren, dass es uns Schwarze Besatzungskinder gibt!“

Überlegungen zum historischen Arbeiten zwischen Wissenschaft und den Erwartungen der Betroffenen anhand der Ausstellung SchwarzÖsterreich.

Wenn HistorikerInnen an Biografien lebender Personen arbeiten und mit ihnen im Rahmen ihrer Forschung in einen – für ihre Lebenssituationen – hellhörigen Dialog treten, führt das häufig dazu, dass wechselseitige Erwartungshaltungen an den Tag treten. Das Oral History Forschungsprojekt Lost in Administration beschäftigte sich anhand von Interviews und Archivquellen mit den Lebensgeschichten von Kindern Schwarzer US-amerikanischer Besatzungssoldaten und österreichischer Frauen. Im Projektverlauf wurde die Forschung, auf Wunsch der InterviewpartnerInnen unterbrochen, um eine Ausstellung zu realisieren, die auf die Existenz und Erfahrungen dieser bisher "unsichtbaren" Personengruppe aufmerksam machte. Die Ausstellung selbst veränderte schließlich auch die Lebensgeschichten der ZeitzeugInnen. Mit welchen Herausforderungen Beteiligte und ForscherInnen/KuratorInnen bei solch einem Unterfangen konfrontiert sein können und welche Schwierigkeiten und Chancen in solch einem gemeinsamen Arbeitsprozess liegen, soll in meinem Beitrag anhand des Ausstellungsprojektes SchwarzÖsterreich behandelt werden.


Angelika Schaser

Biographie, geschlechtergeschichtlich:
Wie sich geschlechterspezifische Zuschreibungen in der Geschichtsschreibung zu Aktivistinnen der deutschen Frauenbewegung bis heute widerspiegeln

Bereits die Protagonistinnen selbst haben ihre Aktivitäten im ausgehenden 19. und beginnenden 20 Jahrhundert gerne als radikal charakterisiert und Positionen, die ihnen wenig zielführend schienen, als „gemäßigte“ Forderungen diffamiert. Diese Polarisierung ist von der Geschichtsschreibung zu den Frauenbewegungen übernommen worden und lässt sich bis in neueste Arbeiten verfolgen.  Im Vortrag wird die Frage im Mittelpunkt stehen, ob das Handeln politisch aktiver Frauen nicht doch immer noch an dem Maßstab des erwarteten und erwünschten weiblichen Verhaltens in der Geschlechterhierarchie gemessen wird. Während die Geschichte der Arbeiterbewegung über die Zeit des Sozialistengesetzes und des Nationalsozialismus von der Geschichtsschreibung als eine kontinuierlich bestehende Bewegung präsentiert wird, bleibt die Geschichte der Frauenbewegung üblicherweise fragmentiert und den politischen Hauptströmungen zugeteilt: Auf der einen Seite die liberale, „bürgerliche“ Frauenbewegung, die oftmals in eine „gemäßigte“ und eine „radikale“ aufgeteilt wird, und eine „sozialistische“ und „kommunistische“, die gerne auch als „proletarische“ bezeichnet wird. Obwohl in der Forschung seit langem darauf hingewiesen wird, dass mit diesen Kategorien zum Teil Quellenbegriffe und Selbstbezeichnungen ungeprüft als Analysebegriffe benutzt werden, halten sich diese Bezeichnungen hartnäckig. Am Beispiel von Marie Stritt, die sich in diese Raster nicht leicht einordnen lässt, soll danach gefragt werden, welche Vorteile eine biographische Forschung bietet, die eine Einordnung in verschiedene Lager vermeidet und die Kommunikations- und Konfliktstrategien dieser Frauen nicht mit Querelen, schwierigem Charakter und persönlichen Abneigungen zu erklären sucht, sondern als offenen Austausch über verschiedene Positionen versteht.


Falko Schnicke

Buchteln in London - Zur Koproduktion von Wissenschaft, Kulinarik und Gastlichkeit

Wissenschaft wird von dem sozialen Umfeld geprägt, in dem sie erzeugt wird, wie die Wissenschaftsforschung der letzten Jahrzehnte nachdrücklich gezeigt hat. Dabei sind fachliche Kontexte wie heuristische oder methodische Denkstile ebenso entscheidend wie Formen der Kommunikation oder Techniken der Interaktion. Ausgehend von dieser Prämisse versucht der Vortrag Johanna Gehmachers kooperativen Wissenschaftsstil zu ergründen und greift dafür auf Beobachtungen aus ihrer Zeit als Visiting Professor am Deutschen Historischen Institut London zurück. Zentral wird dabei dem Zusammenhang zwischen Kulinarik und Wissenschaftsstil, der Verbindung von wertschätzender Gemeinschaft und Erkenntnis nachgegangen.


Regina Thumser-Wöhs

Klangbrücken zwischen Ost und West. Ein kollektivbiografischer Ansatz zu ‚Reisekadern' aus der DDR?

Musik diente in Zeiten des Kalten Krieges als Brücke zwischen Ost und West, von Seiten der DDR zudem als Machtinstrument. Der Beitrag geht der Frage nach, ob Musiker*innen, die als ‚Reisekader' galten und reisen durften, kollektivbiografisch darstellbar sind.


Natascha Vittorelli

Ich war Historikerin. Mehr oder weniger geordnete Gedanken einer Psychotherapeutin

Mit dem Wechsel meines beruflichen Tätigkeitsfeldes von der Historikerin zur Psychotherapeutin habe ich eine mir zunächst unerklärliche Selbstbeobachtung gemacht: Während ich über meinen Beruf als Historikerin gerne gesprochen habe, wurde ich als Psychotherapeutin deutlich einsilbiger. Diese Selbstbeobachtung nehme ich zum Ausgangspunkt für Überlegungen zu Unterschieden zwischen wissenschaftlichem Feld und psychotherapeutischer Praxis.


Bernhard Weidinger

Von schwarz-rot-gold bis rot-weiß-rot: extreme Rechte in Österreich und die deutsche Nation

Verstand die extreme Rechte in Österreich sich nach 1945 lange Zeit als Hüterin des deutschen Erbes in einem Umfeld, dass vom Deutschtumsbekenntnis nichts mehr wissen wollte, hat sich die Lage inzwischen gewandelt: heute schwenken selbst rechtsaußen nur noch TraditionalistInnen die deutsche Trikolore. Der Vortrag zeichnet diesen Wandlungsprozess nach und nimmt dabei auch die Farbkombinationen in den Blick, die Rechtsextreme in Österreich vor 1945 in nationale Wallung versetzten - namentlich die preussische Flagge und das Hakenkreuzbanner.


Christina Wieder

Visuelle (Selbst)Übersetzung: Die Künstlerinnen Grete Stern und Irena Dodalová im argentinischen Exil

Zahlreiche jüdische Kunstschaffende, die vor dem Nationalsozialismus flüchten mussten, fanden in Argentinien Exil. Auch die Fotografin Grete Stern (1904-1999) und die Filmemacherin Irena Dodalová (1900-1989) gelangten in den 1930er bzw. 1940er Jahren nach Argentinien und sahen sich dort mit einem neuen und ungewohnten Umfeld des Kunstschaffens konfrontiert. Für die in den Metropolen der europäischen Moderne Berlin und Prag sozialisierten Künstlerinnen stellte das Exil in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Dass vor allem sprachliche Barrieren den Alltag beeinflussten und Übersetzung dadurch ein besonders hoher Stellenwert beigemessen wurde, liegt nahe. Doch selbst die oft propagierte universelle Sprache der Bilder erwies sich als Trugschluss und so war auch das Schaffen visueller Künstler*innen, wie die Arbeiten Grete Sterns und Irena Dodalovás beweisen, von vielfältigen Übersetzungsprozessen begleitet. 

In ihrer Studie zu Übersetzungspraktiken in transnationalen Frauenbewegungen um 1900 stellt Johanna Gehmacher heraus, dass Übersetzung als eine Form der agency betrachtet und unter Berücksichtigung der Kategorie Gender analysiert werden muss.[1] Dieser Forderung folgend, möchte mein Beitrag visuelle Praktiken des Übersetzens im Schaffen der Künstlerinnen Grete Stern und Irena Dodalová behandeln und der Frage nachgehen, inwiefern diese als spezifisch weibliche Strategien zum Zweck der eigenen Sichtbarmachung im Exil verstanden werden können.


[1] Johanna Gehmacher, In/visible Transfers: Translation as a Crucial Practice in Transnational Women’s Movements around 1900, in: German Historical Institute London Bulletin, 41 (November 2019),  2, 3-44.


Renée Winter

Videoaktivismus oder sich selbst erzählen.
Zur feministischen Videoaktivistin Carole Roussopoulos (1945-2009)

Zur feministischen Videoaktivistin Carole Roussopoulos (1945-2009), Mitbegründerin der Videokollektive „Vidéo Out" und „Les muses s'amusent/Les Insoumuses" und des Archivs und Zentrums „Centre audiovisuel Simone de Beauvoir" in Paris wurden in den letzten Jahren nicht wenige Erzählungen veröffentlicht. In wissenschaftlichen Texten, in Filmen und Ausstellungen wurden Geschichten feministischen Videoschaffens in Frankreich erzählt, wobei auch immer wieder auf Roussopoulos Bezug genommen wurde. Im Zentrum meines Beitrags stehen die Schilderungen transnationaler Kooperationen (mit baskischen Frauen, mit der Black Panther Party, mit US-amerikanischen Feministinnen, ...). Diesen Erzählungen möchte ich nachgehen, nach ihren Funktionen (in biografischen Konstruktionen zu Carole Roussopoulos) fragen und wenn möglich bisher nicht berücksichtigte Perspektiven auf diese Formen der Zusammenarbeit eröffnen.